2018-04 Christoph Steinbach - Hängebirke mit Kätzchen und Blatt

Wer den eigenen Körper empfindet, das wohlige Pulsieren im Raum des Körpers, wer den Raum des Körpers als solchen wahrnimmt, ist im Raum des Körpers und damit aus dem Denken herausgetreten. Sie oder er sieht und hört nun die Gedanken und ist nicht mehr im Raum des Denkens.

 

Wer sich einmal ganz dem Sehen, dem Hören, dem Riechen, dem Schmecken, dem Tasten, dem Körperempfinden widmet, dessen Gedanken werden still … Es ist wunderschön, die Stille im Denken einmal bewusst zu erleben.

 

Wer aus dem Denken herausgetreten ist, hat weiterhin Gedanken. Sie erscheinen im Geist, im Kopf. Sie sind ein Teil des vollständigen Erlebens des Menschen. Es ist ein Unterschied, im Denken zu sein oder das Auftreten der Gedanken im eigenen Innern wahrzunehmen. Im Denken ist es nicht sicher, was wahr und was Illusion ist. Im vollständigen, wachen Erleben ist das Auftreten eines Gedankens so wahr und wirklich wie das Tasten des weichen, warmen Fells der Katze, wie das Hören der Motorsäge, wie das Ziehen in der linken Schulter. Im vollständigen Erleben ist der Inhalt eines jeden Gedankens ersichtlich. Nun kann ‹Ich› entscheiden, ob ich dem Gedanken folge oder nicht. Wem folgst du?

 

Jeder Mensch fühlt in jedem Augenblick. Auch wenn die Gedanken still sind, können im Gemüt Gefühle sein, kann der Mensch fühlen. Die Stille der Gedanken geht nicht sogleich mit tiefer Freude und Liebe einher. Das erstmalige Erleben der Stille der Gedanken ist ein erhabener Moment voller Weite, Tiefe, Liebe, Gewahrsein, ein Eintreten in eine neue innere Welt. Danach ist das Leben kein dauerhaftes Beglücktsein. Das Leben geht weiter, die Schulter ist immer noch entzündet, die Miete möchte bezahlt werden, das Auto muss alle zwei Jahre zur Prüfung.

 

Wer aus dem Denken herauszutreten vermag, fühlt die wahren Gefühle. Es gibt nur sechs elementare Empfindungen der Seele, aus denen sich in der Mischung alle unendlich vielen Färbungen des Gemüts ergeben. 

 

Atme tief ein und aus, richte deinen Oberkörper auf, nehme deinen Blick nach innen, gehe in den Raum deines Körpers, verweile dort wohlig … Empfinde die genannten Gefühle. Im befreiten Zustand ist es möglich, jedes dieser Gefühle ein Stück weit in sich selbst herzustellen.

 

Freude

Das Gefühl, das jeder gerne hätte, weil es in der Welt anerkannt und willkommen macht. Die Mimik der Freude strahlt von nahezu allen Werbeplakaten, viele Arbeitgeber ermahnen zur dauerhaften Ausstrahlung von Freude, jedes Eingeladensein zu einer Feier setzt Freude voraus, die langanhaltende Abwesenheit der Ausstrahlung von Freude wird medikamentös behandelt. Freude ist die hohe Stimmung des Menschen. Empfinde einmal Freude in dir in diesem Augenblick. Nimm wahr, wie es dir möglich ist, deine Stimmung willentlich zu erhöhen und auch wieder in ihren Grundzustand fallen zu lassen.

 

Wut

Kein Gefühl ist weiser, sinnvoller, nützlicher als ein anderes. Mit Ausnahme der Liebe, die mehr als ein Gefühl ist. Wut ist im Zwischenmenschlichen gefürchtet, in der Annahme, dass man sie auf einen anderen Menschen richten kann. Dabei ist jedes Gefühl eine ebensolche Ausstrahlung. Jede Ausstrahlung erreicht gleichsam den nahen Mitmenschen, gleich welches der sechs elementaren Empfindungen im Gemüt gerade vorherrscht. Der eine Mensch fühlt und strahlt dieses Gefühl aus, der andere fühlt ebenso sein eigenes Gefühl und spürt die Ausstrahlung des Nächsten. Beides geschieht im eigenen Erleben zugleich. Denken, Fühlen, Spüren, die Empfindungen des Körpers, die Eindrücke der Sinne, das reine Sein, alles sind unterschiedliche Ausprägungen des einen Erlebens. 

 

Wut ist ein Ausdruck des Fühlens ebenso wie Freude. Empfinde einmal jetzt, achtsam, ohne sie zu richten, Wut in dir. Lass Wut in dir aufsteigen, fühle sie und lasse sie wieder ausklingen. Bleibe dabei im Raum deines Körpers. Das kollektive Denken ist voller Wertung über die Wut. Die befreite Wut ist ein liebevoller Ausdruck des eigenen Gemüts, zur rechten Zeit eine innere Kraft der Veränderung. Wut kann sich mit hoher Stimmung mischen. Drehe den ersten Buchstaben um, und du erhältst das Wort der Wut in hoher Stimmung: Mut. Alle Helden, die etwas für andere erkämpft haben, trugen in vielen Momenten eine mit Liebe gemischte Wut in sich und waren in diesem Momenten oftmals in erhöhter Stimmung. Das Leben schenkt uns sechs elementare Empfindungen und jede ist eine Gabe und innere Weisung. Stets ist es das eigene Selbst, das ein Gefühl im Innern macht und vergehen lässt. Viele versuchen in das Gefühlsleben ihrer Mitmenschen einzuwirken, in dem sie ihr eigenes Wirken verändern und in die Umstände des Nächsten eingreifen.

 

Die Mischung aus Wut und tiefer Stimmung ist Zorn.

 

Traurigkeit

Atme erneut tief ein und aus, schließe die Augen, empfinde das feine Pulsieren deines Körpers und lass dich in den Raum deines Körpers hineinsinken. Lasse zu, dass sich die Muskeln deinen Kopfes und Oberkörpers entspannen. Empfinde Traurigkeit … 

 

Traurigkeit ist ein Ausdruck des Gefühls ebenso wie Freude und Wut. Sie ist eine eigene Färbung des Gemüts. Es ist ein Unterschied, traurig zu sein oder wütend. Beides ist in der Stille des Denkens möglich. Kummer ist die Mischung aus tiefer Stimmung und Traurigkeit, die Mischung aus Traurigkeit und hoher Stimmung hat in unserer Kultur bis heute keinen Namen erhalten. Sie ist im befreiten Tanzen erlebbar, wenn die Tränen laufen. «Tränen vor Glück» ist eine verbreitete Bezeichnung. In der Mischung mit Liebe ist Traurigkeit die innerer Kraft der Reinigung, sie ist wie Wasser, das alte Energien aus dem Gemüt und damit feinstofflichen Körper wäscht. 

 

Tiefe Stimmung

Die ‹Stimmung› des Menschen ist ein Fühlen. Freude ist die ‹hohe Stimmung›, hoch, weil sie erwünscht ist, weil Leichtigkeit und inneres Lächeln ein Ausdruck des Einen Selbst ist und dem Menschen eine Sehnsucht gegeben ist, dem Selbst nahe zu sein. Freude ist ein Gefühl. Die tiefe Stimmung ist ein ebenso wahres Erleben wie die hohe Stimmung. Nur sehr, sehr wenige Menschen, die mit ihren Füßen die Erde unter sich tasten, leben dauerhaft in hoher Stimmung. Die tiefe Stimmung ist ebenso ein Gefühl wie die hohe Stimmung. Dieses Gefühl ist in der Gesellschaft verbannt, ignoriert, namenlos gelassen und wird nicht als Gefühl anerkannt. Der naheliegende Name dieses Gefühls ist ‹Leid›. «Ich empfinde Leid» ist ein Ausdruck des Empfindens einer tiefen Stimmung. Nur wenige hochzivilisierte Menschen  sind so mutig, über einige Tage ein Stimmungstagebuch zu führen und den wahren Stand ihrer Stimmung in vielen unterschiedlichen Momenten ihres Tages dort einzutragen. Die Welt ist aufgesetzt und hält uns dazu an, ebenso aufgesetzt zu sein, dem Gängigen zu folgen und die eigene Stimmung hochzuhalten.

 

Empfinde die mittlere und auch tiefe Stimmung in dir einmal aus dem Raum deines Körpers heraus, wohlwollend, entspannt, in innerem Frieden. Frieden und tiefe Stimmung widersprechen sich nicht. In Liebe ist Leid das Zurückholen des Menschen aus seiner weltlichen Aktivität, ein Zeichen des Selbst, dass die Seele Raum für sich benötigt. Die Welt ist nicht unbedingt ein Freunde der Seele, denn sie ist voller Illusion und Täuschung und möchte diese Wände undurchschaut aufrecht erhalten.

 

Angst

Angst ist ein Ausdruck der Seele, ein inneres Empfinden, wie auch Freude, Wut, Traurigkeit und Leid. Jedes ‹Auftauchen› dieser Gefühle im eigenen Innern ist eine Weisung des weisen Selbst. Angst lässt den Menschen innehalten und sich den Sinnen widmen. Sie erinnert den Fahrradfahrer auf der engen Landstraße, der das tiefe Brummen eines schnell näherkommenden Fahrzeugs hört, an die Verletzlichkeit des Körpers. Auch Angst ist in hohem Maße vom Denken mit Konzepten und Umgangsregeln überdeckt. 

 

Übe dich im Empfinden der fünf Grundgefühle Angst, Wut, Freude, Leid und Traurigkeit aus dem Raum des Körpers heraus, und höre und siehe zugleich deine Gedanken. So erkennst du, wie befreit das Empfinden eines jeden dieser fünf Gefühle ist.

 

Liebe

Ebenso wie das Denken zurücktreten kann, wie Stille im Denken wahr und wirklich erlebbar ist, so kann auch die Färbung des Gemüts zurücktreten und sich der einen Empfindung des Selbst öffnen, der Liebe. In Liebe geschieht vieles im Innern zugleich: die Aufmerksamkeit ist zumeist in der Mitte des physischen Körpers, der Mensch ist in seiner Mitte, das wahrgenommene Feld des eigenen Wesens weitet sich über die Grenzen des physischen Körpers aus, Verbundenheit, innere Weite, inneres Lächeln, Leichtigkeit, Reinheit, Frieden ist nun ein lebendiges Erleben. Je mehr sich das eigene Gemüt der Liebe öffnet, desto mehr werden die anderen Gefühle mit Liebe durchmischt. Glück ist ein reines Gefühl und die Mischung aus Freude und Liebe; die Stimmung im Glück ist hoch. Angst, Wut, Leid und Traurigkeit sind ebenso in Liebe empfindbar. Die Fahrradfahrerin, die hinter sich den Holztransporter hört und dabei Angst als Empfindung im Gemüt wahrnimmt, kann weiterhin in Liebe den Duft der Gräser und des Waldes wahrnehmen, den Lenker mit den Handflächen tasten, die Geschmeidigkeit ihrer Körpers beim Treten der Pedale empfinden, den Gedanken in sich lauschen und achtsam am Rand der Straße ihr Leben bewahren.

 

‹Liebe› bezeichnet zudem ein seelisches Band, dass das Leben um zwei Menschen im Besonderen legt und das sich eines Tages wieder auch wieder lösen kann.

Übungen zum Fühlen

  • Übe dich im Empfinden des feinen Pulsierens deines Körpers. Trete aus dem Denken heraus in den Raum deines Körpers, bevor du dich dem Fühlen widmest. Im Raum des Denkens ist jedes Fühlen Illusion.
  • Werde dir deiner Stimmung bewusst. Stelle dir einen Timer auf 30 Minuten. Wenn er ertönt: Empfinde deine Stimmung, ohne sie sogleich willentlich zu ändern.
  • Schreibe für einige Tage ein Stimmungstagebuch.
  • Übung zum Fühlen, zum Empfinden des momentanen Gefühlsgemisches
  • Übe dich achtsam darin, Gefühle in dir herzustellen.
  • Höre deinen Gedanken zu, wenn Gefühle in dir im Alltag auftauchen. Trägst du Bewertungen und Urteile zu den Grundgefühlen in dir? Sind in dir Muster zum Umgang mit einzelnen Gefühlen angelegt?
  • Werde dir der Reaktionen deiner Nächsten bewusst, wenn du dir das Ausstrahlen von Gefühlen erlaubst.
  • Finde für dich heraus, was der liebevolle Sinn der sechs elementaren Empfindungen ist.

<-  Schritte