Es ist ein relativ neues Wort in unserer Sprache: Gewahrsein. Kein Konzept, sondern wahr erlebbar: Das Erleben des reinen Seins. Sich selbst in Weite und Verbundenheit als reines Sein erfahren. Sich selbst ganz gewahr sein.

Wer sein Bewusstsein weitet, wer aus den Räumen des Denkens tritt, erlebt sich als Lebendigkeit, die mehr und weiter ist als die Haut, die Knochen, das Blut und die Ströme der Impulse der Nerven des eigenen Körpers. Der Körper ist ‹eigen› ‒ der Mensch ist mehr als nur Körper in der dreidimensionalen Welt. Spüre den Menschen vor dir als Ganzes und du wirst feinsinnig sein Wesen wahrnehmen, sein oder ihre Persönlichkeit, ein lebendiges ‹Feld› aus Gedanken, Gefühlen, Wille, Mustern, Energie. Dieses ist nicht im diesseitig Physischen zu finden.

Christoph Steinbach - lila Baumblüte vor Forsythie 7, Foto 04.2018

Wer sein Bewusstsein weitet, wer das eigene Feld aus Denken, Fühlen, Wollen und alten Mustern durchquert, findet sich selbst, das Wesenhafte in uns, das in Verbindung mit dem Leben selbst und allen uns umgebenden Wesen ist. Gewahrsein ist das Erleben des weithin verbundenen Selbst in gleichzeitiger Präsenz als Körper und Seelengeist.

Der willentliche Weg in das Gewahrsein ist, es einmal bewusst zu erfahren und sich von nun an im Alltag immer wieder an die weite, innewohnende Lebendigkeit zu erinnern und damit das eigene Bewusstsein aus sich selbst heraus zu weiten. Es ist ein Aberglaube, dass das eigene Bewusstsein nach dem ersten Erleben des Selbst von diesem Augenblick an pausenlos in seiner vollen Weite bleibt und so nicht mehr ‹atmet›. Viele Bereiche des Erlebens: Fühlen, Spüren, Körperempfinden, Riechen, Schmecken, Tasten und bewusstes Denken lagen zumeist lange Jahre im Unbewussten und treten erst nach und nach in das Licht des Erlebens. Das eigene Selbst wählt die Weite des Bewusstseins in Liebe und Weisheit! Das Erleben hier und jetzt ist aus Sicht des Selbst vollkommen, auch wenn Teile des Erlebens noch im Unbewussten liegen. Verbinde dich mit deinem eigenen Bewusstsein und erlebe, wie es sich engt und weitet …

 

Wir alle tragen eine Sehnsucht nach Gewahrsein in uns, nach dem Erleben des Selbst, der Selbstverwirklichung, der vollen Liebe, Präsenz, des verbundenen Mitgestaltens des Einen Lebens. Wir nennen es: «ganz da sein», «im Fluss sein», «das Leben in Händen halten», «ganz im Leben stehen», «mit offenem Herzen leben», «glücklich sein», «die Liebe ganz leben», «angekommen sein». Das Selbst ist immerfort Lebendigkeit, innere Weite, inneres Lächeln, Leichtigkeit, Verbundenheit, Reinheit, Frieden, Liebe und Gestaltungsmacht. Das Leben im Gewahrsein ist ein einziger Fluss und eine hohe Lebenskunst auf Erden. Wenn wir je etwas vermissen, wenn uns je etwas fehlt, dann ist es in der Tiefe nichts anderes als die Verbundenheit mit der Einen Lebendigkeit.

 

Zugleich machen wir, aus Sicht des Selbst gesehen, in diesem Augenblick nichts falsch. Nicht jede und jeder möchte hier und jetzt schon wieder angekommen sein, sonst wäre er es! Das Selbst ist in seiner Gestaltungsmacht unbegrenzt und kann von einem Augenblick zum nächsten alles verwirklichen, was dem Seelengeist und Körperwesen noch unerreichbar erscheint. Dieses ist eine tiefe Frage: Bist du auf dem Weg zurück oder möchtest du dich noch in das eine und mit dem anderen verwicklen?

 

Für die und den, der sich in der Tiefe zur Rückkehr entschieden hat, geschieht im Erleben des Gewahrseins Klärung und Heilung, denn Gewahrsein ist die Verbundenheit mit dem Leben selbst und dieses ist vollkommen heil. Gewahrsein klärt Fühlen, Spüren, Beziehungen, Verhalten, Lebensumstände und auch das Denken: Es lässt erkennen und zu den tiefen Fragen des Daseins durchdringen, zum Beispiel: Was hält dich davon ab, dauerhaft im Gewahrsein zu leben?


PS: Die wahrhaft erlebte Leichtigkeit ist zugleich Lebensfreude und inneres Lächeln. Das innere Lächeln ist eine der essentiellen Qualitäten der Einen, alles durchwirkenden Lebendigkeit, die Buddhisten nennen es: ‹höchste Freude›, englischsprachige Bewusstseinslehrer sprechen vom ‹bliss›. Die als Fühlen, und damit im Gemüt erlebte Freude ist willentlich erzeugbar und hat nicht unbedingt die Tiefe des inneren Lächelns.

 

PS2: Liebe ist der dauerhafte, unveränderliche Zustand des Selbst, eine spürbare Kraft, die alles auf das Tiefste erfüllt, verbindet und zum Schwingen bringt. Sie ist unabhängig von der Liebe zu einem bestimmten anderen Menschen.

 

PS3: Nichts erfüllt die Beziehung zu einem anderen Menschen mehr als im Gewahrsein zu leben! :-)

 

PS4: Die Vorsilbe ‹Ge› ist die der Manifestation: Aus ‹denken› wird so ein ‹Gedanke›, aus ‹fühlen› ein ‹Gefühl›, aus ‹bauen› ein ‹Gebäude›, aus ‹fahren› ein ‹Gefährt›, aus ‹bilden› ein ‹Gebilde›, aus ‹liegen› ein ‹Gelage›, aus ‹treiben› ein ‹Getriebe› aus ‹sehen› das ‹Gesehene›, aus dem unumstößlichen Erleben des wahren Seins das Gewahrsein.